Ich bekomme einen
Kotzreiz
So ätzend, meine rosa Strumpfhose ist schon
wieder verrutscht. Ich musste mich heute
besonders mädchenhaft anziehen, da die
Verwandtschaft kommt.
Meine Familie ist sehr konservativ. Vor allem
mein Vater, er möchte die perfekte Familie.
Wenn er herausfinden würde, wer ich wirklich
bin, würde er mich verstoßen und ich wäre
nicht mehr sein Kind.
Meine Mutter würde nichts dagegen tun und
zu meinem Vater halten, so wie sie es immer
tut.
Niemand weiß von meinem Geheimnis, außer
meiner heimlichen Freundin.
Sie ist die einzige, die mich so akzeptiert, wie
ich bin. Ich liebe sie.
Eine Wolke von Parfüm steigt mir in die Nase,
ich bekomme einen Kotzreiz.
Mein ganzer Körper ist mit Spitze bedeckt,
alles juckt und kratzt. Ich will einfach nur raus
aus den Klamotten.
Ich fühle mich fremd in meinem Körper. Eine
Wolke von Parfüm steigt mir in die Nase, ich
bekomme einen Kotzreiz.
Jeden einzelnen Tag stehe ich unwohl auf,
gucke in den Spiegel und entdecke immer
mehr Fehler an mir.
Wie ich da stehe, so selbst zweifelnd und
gebrochen.
Ein Häufchen Elend.
Dann gehe ich in die Schule und spiele das
perfekte Mädchen.
Immer mehr fresse ich meine Probleme in
mich hinein und abends liege ich dann leise
schluchzend in meinem Bett.
Es reicht mir!
Ich kann nicht mehr, so will ich nicht leben!
Und dann schreie ich, so laut ich kann:
Ich bin ein Junge und kein Mädchen!
Auf dem Times Square
Ich stehe auf dem Times Square in New
York. Die Straße ist menschenleer und kein
einziges Auto ist zu sehen. Ich laufe Barfuß
auf der Straße in irgendeine Richtung, etwas
verloren sehe ich in die Gegend und dann
zum Himmel. Es ist Nacht aber nicht dunkel,
die Neon Lichter überstrahlen alles und du
bunten Reklametafeln blinken flimmern in
grellen Farben. Irgendwie gefällt mir, was ich
sehe. Ich höre allerdings Gar nichts. Es
kommt mir so vor, als sei ich schon immer
hier gewesen und gehöre hier hin. Ich will
nie wieder weg. Ich fühle mich plötzlich so
selbstsicher und nicht mehr so klein. Ich
könnte Ewigkeiten hier verbringen.
Woran ich nicht wirklich
geglaubt habe
Heute muss ich wieder einkaufen gehen,
also Sachen gepackt und los geht’s. Ich weiß
gar nicht, wieso alle Leute Maske tragen,
eigentlich müsste ich auch eine tragen, aber
ich schummele mich immer wieder durch, in
letzter Zeit jedoch merkte ich, wie es mir
immer wieder schlechter ging und ich
heftigen Husten habe. Naja. Angekommen
am Supermarkt, spüre ich, wie sich mein
Herz zusammenzieht und ich nicht mehr
atmen kann. Ich habe richtige Atemnot und
bekomme Angst um mein Leben. Ein Mann
kommt auf mich zu und will mir helfen, er
ruft den Notarzt. Ich merke, wie ich keine
Luft mehr bekomme und in Ohnmacht falle.
Der Notarzt kommt nur wenige Minuten
später und ich höre nur Kleinigkeiten,
wie…was ist passiert…sie atmet nicht
mehr…wir müssen reanimieren, ab dann ist
alles schwarz.
Ich wache erst auf, als ich ein Piepsen höre,
was sich im gleichen Rhythmus wiederholt.
Ich versuche die Augen auf zumachen und
sehe weiße Wände, ich schaue mich um und
sehe ein Beatmungsgerät, an dem ich dran
stecke. Danach schlafe ich wieder ein. Ich
wache erst dann wieder auf, als ich die Tür
des Zimmers höre und der Arzt reinkommt.
Er sagt: Guten Abend Frau Bäcker, wie geht
es ihnen? Sie sind auf dem Parkplatz
zusammengebrochen und mussten
reanimiert werden. Nach einigen
Untersuchungen müssen wir ihnen leider
sagen, dass sie an Covid-19 erkrankt sind.
Und da haben wir es, das woran ich nicht
wirklich geglaubt habe und keinen Wert
daraufgelegt habe, habe ich bekommen und
wäre beinahe gestorben, nur weil ich nicht
aufgepasst habe.
Der Komet
Ich sitze in meinem Zimmer, wie jeden
Abend. Meine Mutter ruft zum Abendessen.
Ich stehe auf und laufe hinunter. Meine
Eltern und mein Bruder sitzen schon am
Esstisch. Der Fernseher läuft und zeigt jetzt
die Nachrichten an. Darth Vader begrüßt die
Zuschauer und sagt, dass bald ein Komet
auf die Erde stürzen wird. Ich kann in
diesem Moment meinen Ohren nicht
trauen, aber meine Eltern und mein Bruder
scheinen schon davon gehört zu haben.
Meine Mutter erklärt mir, dass wir deshalb
umziehen müssen, und zwar direkt nach
dem Abendessen.
Ich bin entsetzt, wütend und bekomme
Schluckauf. Ich will dieses Haus niemals
verlassen, weil es in meine Welt gehört, aber
da der Komet eine ernsthafte Bedrohung
darstellt, bin ich gezwungen meine Sachen
zu packen. Ich laufe mit meiner Familie nach
draußen und kann am Himmel schon den
Kometen sehen. Ich möchte ihn aufhalten,
damit wir nicht umziehen müssen, aber
allein kann ich es nicht schaffen. Ich fühle
mich nutzlos und hilflos. Meine Eltern laufen
mit meinem Bruder los. Ich will ihnen
folgen, aber etwas hält mich zurück. Ich
kann einfach nicht von unserem Haus
weglaufen. Der Komet kommt immer näher.
Ich versuche mit aller Kraft loszulaufen, aber
ich schaffe es nicht. Der Komet hat mich
jetzt fast erreicht.
Farben
Als ich noch ganz klein war, war alles gut. Jeder
Tag war perfekt. Alles war hell und das
schlimmste war, wenn mein Vater morgens
zur Arbeit musste und ich wusste, dass ich ihn
stundenlang nicht sehen konnte. Ich liebte
Farben und damals war alles noch so bunt,
farbenfroh und hell und ich habe auf alle
Farben geachtet und mich von ihnen
verzaubern lassen. Doch langsam wurde ich
älter, bekam mehr Aufgaben und Dinge, auf
die ich achten musste und wenn ich etwas
nicht schaffte hatte es meist irgendwelche
Folgen. Ich wurde ängstlicher, unsicherer und
langsam schien die Welt um mich herum
immer dunkler zu werden.
048Ich nahm kaum noch all die Farben und
Lichter war, sondern konzentrierte mich viel zu
sehr auf die Probleme, die ich zu lösen hatte
oder die Ängste, die ich überwinden sollte und
war gefangen in meiner eigenen Dunkelheit.
Doch manchmal passierte etwas Schönes, zum
Beispiel wenn ich ein Kompliment bekam, das
mich in diesem einem Augenblick wieder so
unendlich glücklich machte, dass ich kurz alle
Farben wiedersehen konnte und alles für
diesen Moment heller wurde. Nur leider
musste nur eine Kleinigkeit passieren damit
ich wieder allein im Dunkeln saß.
Wahrscheinlich haben deshalb so viele
Menschen Angst davor groß zu werden, denn
alles wird immer mehr und es gibt weniger
Momente, in denen man sich auf das schön
konzentrieren kann.
Jetzt erlebe ich auch nur sehr wenige dieser
Augenblicke, in denen alles weiß ist, in denen
ich total glücklich bin, und in denen ich nicht
an all meine Sorgen denke, aber so habe ich
gelernt diese Momente viel mehr zu schätzen
als ich es früher getan habe. Weil ich weiß,
dass alles irgendwann wieder dunkel werden
kann.
Niemand wählt mich aus
Niemand wählt mich aus. Niemand
entscheidet sich bewusst und spontan nur für
mich. Ich bin immer die, die am Ende verliert.
Niemand ruft ganz spontan aus dem Bauch
heraus meinen Namen, bei der Frage, wen er
liebt. Ich habe immer nur Pech, ich gewinne nie
und verliere alles. Ja ich lebe nur so vor mich
hin. Für niemanden bin ich die Nummer 1 oder
der Grund, warum er lebt. Ich werde geliebt,
aber nie bin ich die erste Wahl. Und es hört
sich so leicht an. Du musst dein Leben selbst in
die Hand nehmen und nicht darauf warten,
dass ein anderer es für dich tut.
Aber wie soll ich das tun, wenn mein Leben
kein Sinn hat? Und ja ich weiß, dass es falsch
ist zu sagen, dass ich erst glücklich bin, wenn
ich der Sinn des Lebens für einen anderen
Menschen bin. Aber so ist es! Und somit bleibe
ich einfach hängen in einer ewigen Schwebe,
befreit werde ich nur von jemandem, der die
Kraft hatte, sich aus seiner Schwebe zu
befreien. Darauf warte ich, vielleicht eine
Ewigkeit lang.
theater et zetera
Theater hat seine eigene Wirklichkeit. Der
Zuschauer lehnt sich zurück und akzeptiert die
Spielregeln: So kann er in 90 Minuten ganze
Epochen an allen erdenklichen Orten der Welt
erleben - erschaffen auf den Quadratmetern
einer Bühne und der Imaginationskraft der
Schauspielerei.
Nicht anders verfährt theater et zetera. Nur
dass es dauernd die Spielregeln ändert - und
so Blicke auf ungesehene Realitäten öffnet.
Corona bringt
mich um
A Radio Play to watch
Texte
Auf dem Schulhof
Ich stehe auf dem Schulhof. Meine halbe
Klasse steht in einem Kreis um mich herum.
Die meisten Lachen und manche zeigen mit
dem Finger auf mich. Ich folge ihren Blicken
und schaue an mir herunter. Ich sehe, dass ich
einen Krankenhauskittel trage. Es klebt an
einigen Stellen Blut. Ich trage an mehreren
Stellen Verbände. Ich weiß nicht mehr genau
wie ich hierher kam oder woher, aber ich muss
wieder zurück. Ich spüre nur wie meine Füße
mich zu einem Loch in der Menge tragen und
ich meine Ellbogen nutze um mich durch zu
boxen.
Einige Schüler gehen zur Seite, andere Stellen
sich in den weg. Ich laufe auf den Ausgang des
Geländes zu. Die Tür ist verschlossen also
renne ich weiter den Zaun entlang und suche
nach einem anderen Ausgang. Ich sehe wie die
Masse mir zombieartig hinterherrennt. Ich
bekomme Angst und renne noch schneller. Die
Masse verfolgt mich weiter. Ich schaue immer
weder flüchtig nach hinten und plötzlich
stolpere ich und falle. Mein Kopf knallt gegen
den Zaun und mir wird schwarz vor Augen. Ich
bleibe reglos liegen.